Jeden Tag geht die Sonne auf und irgendetwas wunderbares passiert – ich muss es nur zulassen, es sehen zu können und für mich als etwas wunderbares annehmen zu können.
Nicht ganz leicht, denn auch geschehen jeden Tag wirklich furchtbare Dinge, große wie kleine.
Ich übe mich täglich darin, die Sonne in mein Herz zu lassen, nicht mutlos zu werden und vollkommen zu resignieren.
An sehr vielen Tagen gelingt mir das, an einigen nicht so gut.
Es gibt Tage, da kann ich über die Krankheit meiner Tochter sprechen, als würde ich über etwas völlig banales reden und an anderen Tagen, stehen mir die Tränen in den Augen, bei dem leisesten Gedanken daran. Dann habe ich meine last, sie herunterzuschlucken, mich auf anderes zu konzentrieren und in meiner eigenen Mitte zu bleiben.
Der Schmerz gehört mittlerweile so sehr zu mir, wie auch mein Optimismus. Wer an welchem Tag, die Oberhand gewinnt schwankt sehr.
Ich wurde einmal gefragt, wie ich mir mein leben vorstellen würde, wenn mein Kind nicht so krank wäre, was ich machen würde und ganz ehrlich, ich konnte darauf keine Antwort finden.
Ich denke auch jetzt noch oft darüber nach und finde einfach keine Antwort. Die Depression meines Kindes gehört mittlerweile so sehr zu meinem Alltag, das ich eigentlich gar nicht mehr weiß, wie das „normale“ Leben geht.
Worüber würde ich mir den Kopf zerbrechen, wenn nicht über mögliche Therapien, Medikamente, Behandlungen, etc. die wir noch nicht versucht haben ?
Was würde ich in meiner Freizeit tun ?
Fakt ist nun einmal, das sich unser Leben, auch wenn wir das eigentlich nicht wollen, sehr von der Depression bestimmt wird. Wir können nicht entspannt einen ganzen Abend einfach weggehen und uns in Sicherheit wiegen, das mit den Kindern alles glatt läuft. Auch können wir schlecht einem anderem Menschen die Verantwortung aufbürden aufzupassen, denn wenn ein Kind so hoch suizidal ist wie unseres, gibt man die Verantwortung nicht einfach ab, denn wenn wirklich etwas passieren würde, weiß ich zwar, das ich dieser Person keinen Vorwurf machen würde aber, diese Person würde sich selbst Vorwürfe machen und damit stark belasten. Das möchte ich einfach nicht. Schlimm genug, das ich in dem Sog bin, da muss ich nicht noch andere mit reinziehen.
Ich kann auch nachts nicht wirklich schlafen, ein Ohr ist immer wach – in „Pass-Auf-Stellung“, falls sie sich doch davon schleichen möchte.
Auch kann ich nicht morgens an ihre Tür klopfen ohne tief durch zu atmen, die Luft anzuhalten – erst wenn ich die erste Regung sehe, fällt die Angst für einen kleinen Moment ab – Nacht überstanden, sie lebt !
Natürlich könnten wir uns das Leben etwas „einfacher“ machen indem wir sie per Gerichtsbeschluß gegen ihren Willen in eine Klinik verfrachten, bei ihrer Diagnose und dem derzeitigen Stand – kein Problem.
Was hätten wir dann gewonnen ?
Nichts !
Denn auch wenn sie dann in der Verantwortung anderer wäre, nimmt mir das nicht die Sorge und erst Recht nicht die Angst. Auch ist mir vollkommen klar, das eine Therapie auf Zwang zu nichts führen würde.
Ein Zwang führt nur dazu, das sie sich noch mehr sperrt und sich nun auch von uns aufgegeben und verlassen fühlt – nicht mehr willkommen in unserem Leben.
Es gibt den Spruch, das man die Menschen erst richtig fallen lassen muss, damit sie sehen und erkennen, das sie am Boden liegen und Hilfe brauchen, zulassen und annehmen müssen. Das mag auf ganz viele Menschen zu treffen und bei vielen ist das mit Sicherheit der richtige Weg. Doch wie könnte ich das bei meinem noch minderjährigem Kind tun ? Fakt ist nun einmal, sie ist noch minderjährig und somit haben wir die Verantwortung.
Wir waren schon an einigen sehr tiefen Punkten, und sie ist gefallen. Sehr schlimm sogar – 2 Tage Intensiv Station – in meinen Augen noch tiefer geht es nur mit dem Tod, doch ihre ersten Worte an uns, nachdem sie wieder halbwegs klar war, waren “ Ich wollte das nicht überleben!“ .
Jeder, der so einen „Ritt“ hinter sich hat und eigentlich nur Aufmerksamkeit damit erzeugen wollte und nach Hilfe ruft, wäre heilfroh gewesen gerettet worden zu sein, sie nicht. Unter Tränen in ihren Augen sagte sie, ich wollte das nicht überleben – ergo: Ich will nicht leben!
Für uns als Eltern eine ganz bittere Wahrheit, die wir verpacken müssen. Was sollen wir noch machen um in ihr den Lebensfunken zu entzünden ?
Natürlich war sie nach diesem Suizid Versuch wochenlang in einer gesicherten Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie, mit dem Ergebnis, das sie, wie auch schon die ganzen Monate zuvor in der Tagesklinik, genau weiß, wie sie mit den Therapeuten zu sprechen hat um sich als nicht wirklich gefährdet darzustellen. Sie beherrscht das Spiel perfekt und liefert genau das ab, was von ihr erwartet wird um als stabil eingestuft zu werden.
Ich könnte ein Buch darüber schreiben, was da in den Elterngesprächen abging. Einer der harmlosesten Vorwürfe dieser Therapeuten an mich war, das ich es brauche das mein Kind krank ist, um mich besser zu fühlen !
Ich werde jetzt nicht weiter auf diese „Therapeuten und Klinik“ eingehen, denn das ist ein Thema für sich, aber mich wundern deren Praktiken schon sehr und ich hab mich ganz oft gefragt, wo die in ihren Fachbereichen ausgebildet worden sind. Die kamen mit Thesen und Behauptungen um die Ecke, die kann ich als Laien Psychologe sogar besser aufstellen.
Fakt ist, das unsere Tochter ein ganzes Jahr in einer Klinik verbracht hat, Teil- und Vollstationär, mit dem Ergebnis, das wir nicht einen Schritt weiter sind und ihr Lebensmut immer mehr schwindet.
Ich hab mich schon oft gefragt, ob diese Klinik, in der sie war, vielleicht nicht noch mehr kaputt gemacht hat, denn seitdem ist sie noch fester davon überzeugt, das eine Therapie nicht helfen kann.
Natürlich haben wir uns einen ambulanten Therapeuten für sie gesucht, nachdem sie aus der Klinik entlassen wurde und sind auch in wirklich guten Händen, doch auch er sagt, wenn sie sich nicht öffnet und Hilfe zulässt, kämpfen wir auf verlorenem Posten. Alles was wir tun können, ist zu hoffen, das wir Zeit gewinnen und diese Zeit die wir gewinnen, sie dazu bringt Hilfe anzunehmen.
Und so dreht sich unser Rad aus Angst, Verzweiflung, Hoffnung, Resignation, etc. weiter und weiter – ohne das einer von uns aussteigen kann.